Das Hamburger Fremdcnblatt
sagt über die drei zuerst erschienenen Wellsschen Bücher
Die Riesen kommen!, Die Zeitmaschine, Dr. Moreaus Insel:
Der Verfasser dieser drei Erzählungen ist dem deutschlesenden Publikum bisher kaum dem Namen nach bekannt geworden, trotzdem er in seinem Vaterlande England einer der angesehensten Autoren und Dichter ist. Man kann von ihm in Wahrheit sagen, dass er ein Dichter ist, welcher über elne ungeheure Kraft von Phantasie verfügt, ohne den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen zu verlieren.
Auf das letztere muß besonders hingewiesen werden, weil alle drei Erzählungen ihrer Gattung nach phantastische genannt werden müssen. Ich muß gestehen, dass ich seit langer Zeit keine Erzählungen gelesen habe, die mich so gepackt haben, wie diese. Sie bringen etwas Außerordentliches, etwas nie Dagewesenes. Sie erinnern an Jules Vernes naturwissenschaftliche Romane, auch an Lasswitz’ ähnliche Werke, [1] aber sie sind doch etwas ganz anderes.
Wells führt uns in allen drei Romanen Bilder der Phantasie vor, die in Ergebnissen der modernen Wissenschaft wurzeln, dann aber riesenhaft bis ins Märchenhafte wachsen.
Da ist Dr. Moreau, ein angeblich berühmter Chirurg, welcher wegen seiner erbarmungslosen Vivisektionen aus England ausgewiesen wird und auf einer ödcn Insel Versuche anstellt, mittels chirurgischer Massnahmen aus Tieren halbmenschliche Wesen zu machen. Es gelingt ihm auch. Der Erzähler schildert uns die Insel und die Halbmenschen mit einer realistischen Treue, als ob er sie jahrelang gesehen und mit ihnen verkehrt habe. Man sagt sich: "Das ist alles nicht wahr, das ist unmöglich," aber doch fasst man ein mit Schauder vermischtes reges Interesse für diese Fabelwesen, die schließlich den Kampf mit ihrem Schöpfer aufnehmen und ihn töten.
Es ist unzweifelhaft, daß der Autor neben der Lust zum Fabulieren und Gestalten einen sittlichen Zweck verfolgt, indem er dem maßlosen Ehrgeize mancher Wissenschaftler einen Hohlspiegel vorhält.
Ähnllch ist es bei der Erzählung "Die Riesen kommen", aber sie enthält nlcht jene schreckenerregenden Schilderungen, die Dr. Moreaus Insel bevölkern, obgleich auch hier die riesenhafte Phantastik wahre Orgien feiert.
Es ist eine wissenschaftlich festgestellte Tatsache, daß das Wachsen aller Organismen ruckweise mit Ruhepausen erfolgt. Zwei gelehrte Chemiker wollen nun herausgefunden haben, daß der Körper zum Wachsen elnen Stoff in sich bildet, der zeitweise aufgebraucht ist und sich in den Ruhepausen sammeln muß. Dieser Chemiker entdeckt nun ein Pulver, welches den Stoff ersetzt und befördert, so daß ein schnelles Wachsen in gerader Linie erfolgt. Es entstehen Riesenpflanzen, Riesentiere und schließlich Riesenmenschen, die natürlich in der Welt der kleinen menschlichen Pygmäen sich nicht zurechtzufinden wissen, bis es zu einem Kampfe kommt, der aber unentschieden bleibt.
Auch hier ist die ungemeine Anschaulichkeit des Erzählten so groß, daß man sich in eine ganz neue Welt versetzt glaubt, und das lebhafte Interesse wird dadurch noch größer, daß Humor und Satire auf allgemeln menschliche Schwächen die Schilderungen noch beleben.
Aber auch hier liegt der phantastischen Spielerei eine sittliche Idee zugrunde, den Menschen zu zeigen, wie sie klein, geistig und körperllch, sind, falls es der Natur einmal belieben sollte, durch gewaltige und latente Elemente die Erde mitsamt ihren Organismen zu revolutionieren.
Wie ein Pünktchen verschwinden der menschliche Intellekt und die Gottähnlichkeit der Menschen in der dritten Erzählung "Dle Zeitmaschine".
Hier hat ein Naturwissenschaftler die Zeitmaschine erdacht, mit der er in die ferne Zukunft reitet. Ganz abweichend von den bisherigen utopistischen Schwärmerromanen, die ihre Ideale streng und logisch konsequent auf die Entwickelung der bisherigen Erkentnisse aufzubauen suchen, schildert Wells ein Bild der Zukunft, das wiederum durch seine realistische Anschaulichkeit besticht. Den Schluß bildet ein wunderbares Bild der allmählich erkaltenden Erde, ein Bild, in welchem Wells sich als ein Dichter ersten Ranges erweist.
Ich habe absichtlich nur eine ganz kurze Hindeutung auf den Inhalt der drei Erzählungen gegeben. Es würde dem Leser den wahren Genuß entziehen, wenn ich ihm ausführlichere Mitteilungen machte, denn diese Erzählungen haben bei allen ihren poetischen Vorzügen auch denjenigen des spannenden Romans, welchen man Seite um Seite umschlägt, um in atemloser Neugierde weiter zu lesen, wie die Ereignlsse aufelnander foIgen. So kann man wohl sagen, daß Wells auf dem Gebiete der naturwissenschaftlichen Erzählung etwas ganz Neues geschaffen hat, und der Verlagshandlung [2] ist ein warmer Dank zu sagen, daß sie die deutsche Übersetzung dieser Erzählungen publiziert hat. In kurzer Zeit dürfte Wells auch in Deutschland zu den gelesensten Autoren gehören.
[1] Kurd Lasswitz's 1897 novel Two Planets. -- [gd]
[2] Bruns Publishers