Arthur Schopenhauer
Eristische Dialektik, oder die Kunst Recht zu behalten
Zu den weiteren 38 "Kunstgriffen"



Kunstgriff Nr. 7
1831

Den Gegner zum Zorn reizen: denn im Zorn ist er außer Stand, richtig zu urteilen und seinen Vorteil wahrzunehmen. Man bringt ihn in Zorn dadurch, daß man unverhohlen ihm Unrecht tut und schikaniert und überhaupt unverschämt ist.



Siebentes Stratagem:
die Erweiterung - 1251

Die Behauptung des Gegners wird über ihre natürliche Grenze hinausgeführt, also in einem weiteren Sinne genommen, als er beabsichtigt, oder sogar auch ausgedrückt hat, um sie sodann in solchem Sinne bequem zu widerlegen. -- Beispiel: A. behauptet, die Engländer überträfen in der dramatischen Kunst alle andern Nationen. B. macht die scheinbare instantia in contrarium, daß in der Musik, folglich auch in der Oper, ihre Leistungen gering wären. -- Hieraus folgt, als Parade zu dieser Finte, daß man, bei einem erhobenen Widerspruch, seine ausgesprochene Behauptung sogleich strenge auf die gebrauchten Ausdrücke, oder ihren billigerweise anzunehmenden Sinn, einschränke, überhaupt sie in möglichst enge Grenzen zusammenziehe. Denn je allgemeiner eine Behauptung wird, desto mehreren Angriffen ist sie ausgesetzt.



Kunstgriff Nr. 8
1831

Den Gegner zum Zorn reizen: denn im Zorn ist er außer Stand, richtig zu urteilen und seinen Vorteil wahrzunehmen. Man bringt ihn in Zorn dadurch, daß man unverhohlen ihm Unrecht tut und schikaniert und überhaupt unverschämt ist.



Achtes Stratagem:
die Konsequenzmacherei - 1251

Man fügt zum Satze des Gegners, oft sogar nur stillschweigend, einen zweiten hinzu, welcher, durch Subjekt oder Prädikat, jenem verwandt ist: aus diesen zwei Prämissen nun zieht man eine unwahre, meistens gehässige Konklusion, die man dem Gegner zur Last legt.
Beispiel: A. lobt es, daß die Franzosen Karl X. verjagt haben. B. erwidert sogleich: "also wollen Sie, daß wir unsern König verjagen." — Der von ihm stillschweigend als Major hinzugefügte Satz ist: ^'Alle die ihren König verjagen, sind zu loben. — Dies kann auch auf die fallacia a dicto secundum quid ad dictum simpliciter zurückgeführt werden.



Kunstgriff Nr. 8
1831

Den Gegner zum Zorn reizen: denn im Zorn ist er außer Stand, richtig zu urteilen und seinen Vorteil wahrzunehmen. Man bringt ihn in Zorn dadurch, daß man unverhohlen ihm Unrecht tut und schikaniert und überhaupt unverschämt ist.



Neuntes Stratagem:
die Diversion - 1251

Wenn man, im Fortgange der Disputation, merkt, daß es schiefgeht, und der Gegner siegen wird; so sucht man bei Zeiten diesem Unfall vorzubeugen durch eine mutatio controversiae, also durch Ablenken der Diskussion auf einen andern Gegenstand, nämlich auf irgend eine Nebensache, nöthigenfalls sogar durch Abspringen auf eine solche. Diese sucht man jetzt dem Gegner unterzuschieben, um sie anzufechten und statt des ursprünglichen Gegenstandes zum Thema der Kontroverse zu machen; so daß der Gegner seinen bevorstehenden Sieg verlassen muß, um sich dahin zu wenden. Sollte man aber unglücklicherweise auch hier bald ein starkes Gegenargument aufmarschiren sehn; nun, so macht man es geschwind wieder eben so, springt also abermals auf etwas Anderes ab: und das kann man zehn Mal in einer Viertelstunde wiederholen, wenn nicht etwan der Gegner die Geduld verliert. Diese strategischen Diversionen wird man am geschicktesten dadurch ausführen, daß man die Kontroverse unvermerkt und all- mälig auf einen, dem in Rede stehenden Gegenstand verwandten, wo möglich auf etwas noch wirklich ihn selbst, nur in anderer Hinsicht, Betreffendes, hinüberspielt.



Kunstgriff Nr. 12

Ist die Rede über einen allgemeinen Begriff, der keinen eignen Namen hat, sondern tropisch durch ein Gleichnis bezeichnet werden muß; so müssen wir das Gleichnis gleich so wählen, daß es unsrer Behauptung günstig ist. So sind z. B. in Spanien die Namen, dadurch die beiden Politischen Parteien bezeichnet werden, serviles und liberales gewiß von letztern gewählt.

Der Name Protestanten ist von diesen gewählt, auch der Name Evangelische: der Name Ketzer aber von den Katholiken.

Es gilt vom Namen der Sachen auch, wo sie mehr eigentlich sind: z. B. hat der Gegner irgend eine Veränderungvorgeschlagen, so nenne man sie » Neuerung«: denn dies Wort ist gehässig. Umgekehrt, wenn man selbst der Vorschläger ist. – Im erstern Fall nenne man als Gegensatz die »bestehende Ordnung«, im zweiten »den Bocksbeutel«. – Was ein ganz Absichtsloser und Unparteiischer etwa »Kultus« oder »öffentliche Glaubenslehre« nennen würde, das nennt Einer, der für sie sprechen will, »Frömmigkeit«, »Gottseligkeit« und ein Gegner desselben »Bigottrie«, »Superstition«. Im Grunde ist dies eine feine petitio principii: was man erst dartun will, legt man zum voraus ins Wort, in die Benennung, aus welcher es dann durch ein bloß analytisches Urteil hervorgeht. Was der Eine »sich seiner Person versichern«, »in Gewahrsam bringen« nennt, heißt sein Gegner »Einsperren«. – Ein Redner verrät oft schon zum voraus seine Absicht durch die Namen, die er den Sachen gibt. – Der Eine sagt »die Geistlichkeit« der Andre »die Pfaffen«. Unter allen Kunstgriffen wird dieser am häufigsten gebraucht, instinktmäßig. Glaubenseifer = Fanatismus. – Fehltritt oder Galanterie = Ehebruch – Äquivoken = Zoten. – Dérangiert = Bankerott. – »Durch Einfluß und Konnexion« = »durch Bestechung und Nepotismus«. – »Aufrichtige Erkenntlichkeit« = »gute Bezahlung.




Kunstgriff Nr. 14

Ein unverschämter Streich ist es, wenn man nach mehreren Fragen, die er beantwortet hat, ohne daß die Antworten zu Gunsten des Schlusses, den wir beabsichtigen, ausgefallen wären, nun den Schlußsatz, den man dadurch herbeiführen will, obgleich er gar nicht daraus folgt, dennoch als dadurch bewiesen aufstellt und triumphierend ausschreit. Wenn der Gegner schüchtern oder dumm ist, und man selbst viel Unverschämtheit und eine gute Stimme hat, so kann das recht gut gelingen. Gehört zur fallacia non causae ut causae.




Kunstgriff Nr. 16

Argumenta ad hominem oder ex concessis. Bei einer Behauptung des Gegners müssen wir suchen, ob sie nicht etwa irgendwie, nötigenfalls auch nur scheinbar, im Widerspruch steht mit irgend etwas, das er früher gesagt oder zugegeben hat, oder mit den Satzungen einer Schule oder Sekte, die er gelobt und gebilligt hat, oder mit dem Tun der Anhänger dieser Sekte, oder auch nur der unechten und scheinbaren Anhänger, oder mit seinem eignen Tun und Lassen. Verteidigt er z. B. den Selbstmord, so schreit man gleich »warum hängst du dich nicht auf?« Oder er behauptet z. B., Berlin sei ein unangenehmer Aufenthalt: gleich schreit man: »warum fährst du nicht gleich mit der ersten Schnellpost ab?«

Es wird sich doch irgendwie eine Schikane herausklauben lassen.



Dr. Gaby Divay
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