Felix Paul Greve's Wanderungen
Munich: February 1902



Felix Paul Greve
WANDERUNGEN

Munich 1902
e-Edition by Gaby Divay
© January 2007

University of Manitoba Libraries
FPG & FrL Collections
University of Manitoba Archives


How to cite this e-Edition of Wanderungen




Aus hohen Bergen I[13]

Irrfahrt

In einer Felsschlucht hatt ich mich verloren,
Und Klippen türmten rechts und links sich auf;
Doch ich -- zum Kletterer bin ich geboren --
Ich folgte noch des wilden Baches Lauf.

Mit jähem Sprung und mancherlei Gefahren
Nur vorwärts, vorwärts stürmt ich unverwandt...
Da plötzlich stand in wirren Silberhaaren
Ein Göttergreis an schroffer Felsenwand.

Ich wollte grausend schnell vorüberschreiten,
Ein Wahnbild wähnend meiner Phantasei,
Da sah ich näher in den Weg ihn gleiten,
Und aus der Runde tönt ein wild Geschrei.

Er aber, winkend seinem Geistervolke,
In stolzer Hoheit stand gelassen da;
Und um mich legt sich eine Nebelwolke,
Dass ich die Felsen nicht, nur ihn noch sah.

Da neigte er sein Haupt zu mir hernieder
Und sah mich fest, doch mild und freundlich an;
Rings von den Bergen hallt es leise wieder,
Da er zu reden als ein Gott begann:

Du bist in unser Geisterreich gedrungen,
Und suchend nach dem gangbar ebnen Pfad,
Hast du mit Übermenschlichem gerungen,
Verachtend sichrer Führer Wort und Rat.

Wer zu uns kommt, des Lebens ist verfallen,
Denn alles rings ist heiliges Geisterreich,
Und nur die Ebne, wo die Ströme wallen,
Das weite Land, entspricht und eignet euch.

Doch hier, wo Wolken in den Thälern nisten,
Die Berge sich der Himmelsbläue nahn,
Wo Geist und Zwerg ihr Höhlenleben fristen,
Hier ist für menschlich Streben keine Bahn.

Wer dennoch dringt ins tief Geheimnisvolle.];
,
Liegt plötzlich auf der Schluchten Grund zerschellt:
Ein Dämon jagt ihn, bis das wilde, tolle
Geschrei des Wahnsinns durch die Thäler gellt.

Doch um dein reines Suchen, reines Irren
Sei deines Lebens Dauer dir geschenkt;
Was unentwirrbar, wirst du nie entwirren,
Zurück drum kehre, eh die Nacht sich senkt.

Der dienstbarn Geister einer zeigt die Wege
Auf meinen Wink zur Ebne; dir hinab;
Er führt dich sicher die gewundnen Stege
Vorbei an jedem Eis- und Felsengrab....

Ich aber, kalt und ruhiger geworden,
Entgegnet finstren Blickes ihm darauf:
Euch fürcht ich nicht. Ruft alle eure Horden,
Das ganze Volk der Finsternis zu Hauf!

Mein Leben acht ich nichts! Könnt ihr es nehmen,
So nehmts! und ich will euch noch dankbar sein.
Sollt ich mich eurem Willen anbequemen?
Und trug so lang des Suchens Last allein!

Ich will empor zu sonnig hohen Bergen
Und unter mir der Menschen Lande.]; schaun,
Ja, euch zum Trotz, den Geistern und den Zwergen,
Will ich dort oben meine Hütte baun;

Und alles Land und Meer liegt mir zu Füssen;
Und schmeichelt meinem stolzen Herrscherblick,
Und winkt mit Rauch und Wolken meinen Grüssen
Als Opferdank und Antwort mir zurück.

Geht ihr und haust in euren Höhlen weiter!
Ich weiche nicht, eh mir Erfüllung ward.
Wenn ihrs vermögt, bereitet Tod dem Streiter,
Doch eure Worte, eure Mahnung spart...

Doch kaum noch war das letzte Wort verklungen,
Als das Gesicht schon meinem Blick entschwand;
Die Nebel hatten sich emporgeschwungen,
In fahlem Dämmern lag der Felsen Land.

Und, wie ich rings erwachend um mich schaute,
Verwandelt war so Berg wie Thal umher,
Und über mir gewitterdüster graute
Ein Himmel, wie von Blitz und Wolken schwer.

Vertrocknet war des Baches karge Rinne,
An wilderen Felsen irrt der Blick hinauf,
Und wie ich noch in bangem Schweigen sinne,
Da thaten rings sich dunkle Schluchten auf.

Mir aber schwanden die Gedanken alle,
Ein Schwindel trübte meinen festen Blick.
Ein Donner rollt -- in ungeheurem Falle
Sank in der Ebne Länder ich zurück...
                                 ***
Als ich erwacht, vernahm ich Totenglocken,
In einer Hütte lag ich aufgebahrt...
Ich fühlte meine Pulse schaudernd stocken,
Da ich des Schrecklichen mich erst besann...
Und doch, von wilden Fiebern heiss, begann
Am nächsten Tag von neuem ich die Fahrt.

Wanderungen 14, pp. 31-36




How to cite this e-Edition:
Greve, Felix Paul. Wanderungen (Feb. 1902). e-Edition, Gaby Divay. Winnipeg: UM Archives & Special Collections, ©2007.
pEd/1wan/
Accessed ddmmmyyyy [ex: 20sep2007]


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