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(FrL) Else v. Freytag-Loringhoven & Felix Paul Greve/Frederick Philip Grove (FPG)

Else v. Freytag-Loringhoven & F. P. Greve/Grove
"Elsie" & F. P. Greve in Pittsburgh verhaftet
Else von Freytag-Loringhoven & Felix Paul Greve in der New York Times

16. Sept. 1910 -- [ill & Text]
von
Gaby Divay, University of Manitoba Archives

Erstellt anläßlich einer 2005 FrL Ausstellung im Literaturhaus, Berlin
© gd, March 2005
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Der kanadische Autor Frederick Philip Grove, seit 1912 in Manitoba und bis dahin Felix Paul Greve, verschwand 1909 mitels eines fingierten Selbstmordes aus Berlin. Haargenau wie Grove es 1927 gleich am Anfang seines ersten autobiographischen Romans A Search for America darlegt, war er Ende Juli zweiter Klasse auf einem Dampfer der White Star Line - das war die nagelneue Megantic -- von Liverpool nach Montreal ausgewandert [Divay, Dez. 1998, e-publ. 2005]. Seine Frau Else folgte ihm etwa ein Jahr später nach Amerika.

Es ist unklar, ob Greve sie eigentlich schnöde verlassen hatte, wie er es ja im Herbst 1911 in Sparta, Kentucky, tatsächlich tun sollte. In einem rätselhaften Brief an André Gide vom 22. Juni 1908 sprach er von "einer Lücke", die bald enstehen werde, & auch von "Scheidung" [siehe Grove, Letters, 1976]. Es ist wahrscheinlich, daß er Hals über Kopf aus den unten angegebenen Gründen ohne sie floh, dann aber seine Meinung änderte und sie nachkommen ließ. Möglich ist allerdings auch, daß Else von Anfang an mit seinen Plänen, in Amerika als "Kartoffel-König" reich zu werden, vertraut war.

Vielleicht kann man sich die Sache so erklären: als Greve im Juli verschwand, tappte sie noch im Dunkeln, aber nach etwa sechs Wochen hatte er von New York aus Kontakt mit ihr aufgenommen, und machte sich nun mit oder ohne Anleitung daran, das nötige Geld für ihre Überfahrt aufzutreiben. Etwa neun Monate später, im Juni 1910, war es dann soweit, daß sie ihm von Rotterdam über New York nach Pittsburgh folgen konnte.

Erst Ende September 1909 schrieb Else einen unverschämten Brief an den Direktor des Insel-Verlages. In seiner umgehenden, meisterhaften Antwort verwahrt sich Anton Kippenberg elegant vor ihren Anschuldigungen, ER habe Greve in den Selbstmord getrieben, weil er ihn mit Übersetzungsarbeit überhäuft, unterbezahlt, und obendrein unfair kritisiert habe [Grove, Letters, 1976]. Sollte Greve wirklich den Tod gesucht haben, wovon Kippenberg offensichtlich nicht überzeugt ist, so hätten ihn wahrscheinlich sein enormer Schuldenberg und "die Tatsache, daß er in der jüngsten Zeit dieselbe Arbeit zwei Verlegern gegeben und sich von beiden hat honorieren lassen" zu diesem verzweifelten Schritt veranlaßt. Kippenberg entschuldigt Elses "Ton" mit "der begreiflichen Erregung, in der Sie sich befinden", und bietet ihr finanzielle Hilfe an. Ein Mitarbeiter des Verlages, der kurz danach diverse Manuskripte abholte, darunter Dickens David Copperfield, fand die trauernde Witwe in hellem Sommerkostüm und in heiterer Stimmung... Diese gute Laune kann ihren Grund gut in Elses Wissen gehabt haben, DASS & WO ihr Gatte zu der Zeit lebte, denn wie lange kann ihre "begreifliche Erregung" nach Greves Verschwinden vor gut sechs Wochen schon angehalten haben?

Es ist anzunehmen, daß Else auch Greves anderen Verlegern zusetzte, und sich von ihnen helfen ließ, bis sie endlich reisefähig war. Bis vor Kurzem waren die einzig bekannten Annahmen, daß Else zu Greve nach Pittsburg reiste [Spettigue, 1992], daß sich das skandalöse Paar etwa ein Jahr lang auf einer kleinen Farm in Sparta, Kentucky, aufhielt [Divay, 1993], daß Greve seine Frau etwa im Spätsommer 1911 endgültig verließ [FrLs Ab], daß er als Landstreicher erst Ohio-abwärts, und dann gen Westen reiste, während Else in Cincinnati Model stand, und sich über Philadelphia nach New York durchschlug.

Sie heiratete dort Baron Leo, das schwarze Schaf der Freytag-Loringhoven Familie, im November 1913, Greve/Grove heiratete Catherine Wiens, seine Lehrer-Kollegin in Winkler, Manitoba, im August 1914. Damit wurden beide zu Bigamisten. Else, 39 Jahre alt, machte sich zehn Jahre jünger, um mit ihrem neuen Mann etwa gleichaltrig zu sein, und griff auf ihren Mädchennamen Ploetz zurück. Grove war zwar erst fünfunddreißig, gab aber an, er sei ein vierzigjähriger Witwer aus Moskau.

Ein interessanter, nagelneuer Fund hat nun folgendes Detail zu Tage gefördert: in der New York Times vom 16. September 1910 findet man folgende Notiz unter der Schlagzeile "She Wore Men's Clothes: On Walking Tour with Husband, Mrs. Greve Explains -- Police Let Couple Go"
"Pittsburgh, Mrs. Elsie Greve, recently of New York, but formerly of Berlin, was arrested in crowded Fifth Avenue this forenoon while walking by the side of her husband, F. P. Greve of New York, dressed in men's clothes and puffing a cigarette. Both Mrs. Greve and her husband were taken, protesting, to the central police station and locked up as suspicious persons. / Both Greve and his wife asserted that they were subjects of Germany, had done no wrong, and intended no wrong. If they were not released speedily, they would appeal to the German Ambassador at Washington to-morrow morning, they said. Whether this threat was considered or not is not known, but this evening it was announced at Police Headquarters that Mrs. Greve and her husband had been allowed to leave the police station and go on their way, and that Supt. of Police McQuaide issued a letter to the pair setting forth that Mrs. Greve and her husband were all right and that the woman was wearing men's clothes only because she could walk better and keep up with her husband, who was walking out his vacation."
Das bedeutet, daß Else, die am 29. Juni 1910 den Immigrationsbeamten in New York erklärt hatte, sie sei im Begriff ihren "SCHWAGER T.R. Greve" in Pittsburgh, "4th Ave 57", zu treffen, sich noch acht Wochen später dort mit ihrem Mann befand. Das Paar hat sich also nicht, wie bisher angenommen, so schnell wie möglich nach Sparta, Kentucky, verzogen. Die kurze Notiz füllt damit eines der vielen kleinen Löcher in dem luftigen Gewebe der spärlich belegten amerikanischen Jahre von 1909 bis 1912.

Greve selbst war übrigens unter seinem richtigen Namen, also wie in der Zeitungsnotiz oben, als "F. P. Greve", im 1910 Addressbuch als "Manager" eines nicht erwähnten Unternehmens im vierten Stock der Hausnummer 524 in der 4th Ave aufgeführt. Als sein Wohnsitz war der hügelige Vorort Carrick angegeben. Vor einigen Jahren konnte ich auch noch herausfinden, WAS Greve dort zu tun hatte, aber das ist eine andere Geschichte.
Gaby Divay, Archives & Special Collections, University of Manitoba

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Divay, Gaby. "Felix Paul Greve/Frederick Philip Grove's Passage to America : The Discovery of the Author's Arrival in North America and Its Implications," New Worlds: Discovering and Constructing the Unknown: Festschrift for Walter Pache, München: Verlag E. Vögel, 2000, 111-132. [e-publ. 2005]

Divay, Gaby. Introduction to Grove, Frederick Philip. Poems/Gedichte, Winnipeg: Wolf Verlag, 1993.

Freytag-Loringhoven, Else Baroness von. Autobiography. ts.. 205 p. University of Maryland, College Park ( FrL's Ab).

Freytag-Loringhoven, Gisi Baronin von. Personal communication, April 2002.
Gisi's discovery that Else & Greve were married in Berlin in 1907 is also acknowledged in:
Irene Gammel's comprehensive FrL biography, Baroness Elsa: Gender, Dada, and Everyday Modernity: a Cultural Biography. Cambridge, Mass.: M.I.T. Press, 2002.

Grove, Frederick Philip. The Letters of Frederick Philip Grove. Ed., D. Pacey. Toronto: University of Toronto Press, 1976.

Grove, Frederick Philip. Poems/Gedichte, by F. P. Grove/F. P. Greve and Fanny Essler. Edited, with an introd. notes and a concordance, by Gaby Divay. Winnipeg: Wolf Verlag, 1993.

Spettigue, Douglas O. Introduction to Freytag-Loringhoven, Baroness Elsa, Ottawa: Oberon, 1992.

 

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